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Telefonisches Abgrasen: Wenn der Posthorn-Ochse zweimal piept

 
9. September. 91, Hamburg (mik) - Umsonst zu telefonieren war noch nie 
so einfach wie heute. Vor allem AMIGA-Besitzer tun es und wissen nicht 
einmal, was sie tun. Wie Einstein 1930 zur Eroeffnung der 
Funkausstellung formulierte, sollen sich alle schaemen, die sich 
gedankenlos der Wunder der Technik bedienen und nicht mehr davon 
geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie 
mit Wohlbehagen frisst. 
 
Im Fruehjahr 1991 tauchten Programme auf, die mit dem Amiga 
postkompatible Pieptoene fuer den internationalen Telefonverkehr 
erzeugten. Die Tonhoehe, die Laenge der Toene, die Pausen zwischendurch 
und die Tonfolgen lassen sich durch technisches Studium ermitteln. 
Aehnlich wie bei den Mehrfrequenztoenen fuer Fernabfrage von 
Anrufbeantwortern genuegt den Computer-Hobbyisten schon der Sound-Chip 
im Commodore 64; der gleiche ist im Atari ST. Fuer modernere Computer - 
abgesehen von IBM-kompatiblen - ist das noch einfacher. 
 
Moderne Benutzungsoberflaechen am Bildschirm ermoeglichen es fast jedem, 
irgendein Programm zu starten und irgendwas zu machen. Fuer viele ist 
es einfach nur praktisch, den Hoerer abzuheben, gebuehrenfrei irgendeine 
130er Rufnummer zu waehlen, den Telefonhoerer vor den Lautsprecher des 
Computers zu halten, eine Funktionstaste aus seinem Telefonmenu zu 
druecken und dann gratis mit seiner Oma zu telefonieren. Warum das 
nichts kostet, interessiert kaum jemanden; man fragt hoechstens rum, 
wenn es ploetzlich nicht mehr geht. Vorsichtigere Menschen haben die 
fuer sie interessanten Rufnummern als Tonfolgen auf Kassettenrekorder 
aufgezeichnet und nutzen Telefonzellen. Denn die Zentralisierung des 
internationalen 130er Dienstes in Frankfurt macht die Rueckverfolgung 
zum Anrufer relativ leicht. 
 
Der technische Ablauf ist nicht sehr kompliziert. Zum Gratis-
Telefonieren wird eine internationale und kostenlose Verbindung 
benoetigt. Das geht zum Beispiel mit 130-er Nummern, die auch von 
grossen Konzernen angeboten werden. Bei internationalen Verbindungen 
verstaendigen sich die automatischen Telefonvermittlungen der 
verschiedenen Postverwaltungen ueber den Gespraechszustand mit 
sogenannten Signalisierungssystemen. Derzeit sind noch oft Systeme im 
Einsatz, die die Dienstsignale durch Pieptoene uebermitteln. Diese 
liegen im Sprachbereich zwischen 300 und 3400 Schwingungen pro 
Sekunde, Hertz genannt. So ist ein bestimmter Ton als Kennung fuer 
"Gespraech-Ende" vereinbart und wird vom Telefonsystem dem Angerufenen 
uebermittelt. Wenn jetzt der Anrufer selbst - anstelle des 
Telefonsystems - diesen Ton ueber die Leitung schickt, erkennt nur die 
Vermittlungsstelle des Angerufenen den Scheinzustand "Es wurde 
aufgelegt". Die internationale Leitung bleibt jedoch weiter bestehen. 
 
Aehnlich dem Tonwahlverfahren, das bei den neuen digitalen 
Vermittlungstellen oder einigen Anrufbeantworter eingesetzt wird, sind 
auch post"intern"ational Tonkombinationen fuer die Wahl auf 
internationalen Leitungen vereinbart. Sie benutzen jedoch andere 
Frequenz-Kombinationen. Diese sind dem interessierten Fachpublikum 
bekannt. Amerikanische Hacker berichteten bereits Anfang der 70er 
Jahre in ihren Zeitschriften darueber. Zu den ersten Veroeffentlichungen 
in Deutschland gehoerten die Nachdrucke der Zeitschrift TAP in 
HACKERBIBEL 1. Hintergrund-Wissen zu diesem Thema war bereits vor 
sieben Jahren allgemein bekannt. Die Umstellung auf ein neues 
Signalisierungssystem Nr. 7 haben die Postverwaltungen nur in Ansaetzen 
geschafft. Man behilft sich gegebenenfalls mit gewissen Veraenderungen 
am bestehenden System, wenn atypisches Nutzerverhalten ueberhand nimmt. 
 
Mit Aerger und Strafverfolgung ist jedoch dann zu rechnen, wenn aus 
einem vergleichsweise harmlosen Spass geschaeftliche oder sogar 
kriminelle Interessen folgen. So geschehen in den 70er Jahren in den 
USA, als sich Telefonverkaeufer Geraete zum Gratis-Telefonieren (Blue 
Boxes) verschafften, um einen Konkurrenzvorteil zu haben. Das ist 
etwas anderes, als die kreative Forschung eines Hackers, der sich an 
ein Klavier setzt und auch mit diesem Instrument die Posttoene erzeugt, 
um mal umsonst zu telefonieren. 
 
Durch die Verfuegbarkeit von elektronischem Musikgeraet und Computern 
ist tendenziell das Gratistelefonieren heute so guenstig wie in den 
sechziger Jahren in der BRD. Denn bevor die Vorwahlen fuer 
Ferngespraeche eingefuehrt wurden, gab damals es die postinterne 
Moeglichkeit, durch elfmaliges Auf-die-Gabel-hauen Fernverbindungen zu 
Ortsnetzen selber herzustellen, die eigentlich noch nicht erreichbar 
waren. Die Dienstapparate der Post hatten dafuer auf der Waehlscheibe 
hinter der Null noch ein Loch. 
 
Wau Holland , MIK Nr. 37, HH 1991

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